Herzgeleitete Bindungsenergetik

Eine moderne Psychotherapie stellt sich vor. von Alexandra Rotermund-Federer /Bernadette Becher

Der Alltag vieler Menschen ist geprägt davon, zu jeder Zeit mit jedem in Kontakt treten zu können. Wir scheinen gut verbunden zu sein; „www“ steht für globale Kommunikation, Verbindung und Informationsflut.
Schnelligkeit, Mobilität und „Dabeisein“ sind wichtig, doch das Gehirn vieler Menschen ist überflutet und überfordert mit all den Dingen, die im Alltag zu bewältigen sind.
Gerade mit den Menschen, mit denen wir uns stark verbunden fühlen, die uns am Herzen liegen, erleben wir Spannungen und Missverständnisse. Bis zu 50 % Single-Haushalte in Großstädten sprechen eine deutliche
Sprache. Wir tun alles, um so zu sein, „wir wir sein sollen“ und vergessen dabei, „wer wir sind“. Auf diesem Boden können viele körperliche und psychische Erkrankungen entstehen.
Das Leben in vollen Zügen genießen, mutig den eigenen Weg gehen, klar und ehrlich Entscheidungen treffen, in Liebe verbunden sein, glücklich und mit sich selbst im Reinen. Das ist für viele Menschen unvorstellbar; es
klingt wie eine Utopie. Und doch ist es genau das, wonach wir uns alle sehnen. Im Aufbau stärkender Bindungen liegt die Chance, Veränderung und Entlastung zu erfahren.

Was ist Bindungsenergetik?

Der Diplom-Psychologe Michael Munzel hat aus der modernen Gehirn- und Bindungsforschung, der Neurokardiologie sowie aus den energetischen Ansätzen reichianischer Körperpsychotherapie einen zeitgemäßen Ansatz körperorientierter Psychotherapie entwickelt. Die Energetik des Herzpulses und seine dauerhaften Beziehungen, die Bindungen, geben diesem Ansatz ihren Namen: die Bindungsenergetik.
Unser Herz ist unser stärkstes Bindungsorgan. Es verbindet physisch tausende von Kilometern unserer Blutgefäße miteinander, psychisch verbindet es uns mit Menschen, Dingen, Tätigkeiten und Haltungen oder Einstellungen. Ist es vollständig in Funktion, entfaltet sich die Liebe in all ihren Facetten – Herzbeziehungen prägen unser Leben.

Unser Herz schlägt ca.

– 80 mal pro Minute
– 4.800 mal in der Stunde
– 115.200 mal in 24 Stunden
– über 42 Millionen Mal im Jahr …
Mit seiner Pulsation bringt es Energie in alle unsere Zellen und versorgt sie mit Nährstoffen und Informationen, solange wir leben. In unserer Kultur wird das Herz meist nur als mechanische Pumpe verstanden
und behandelt. Die neuronalen Bahnen, Verschaltungen bzw. die Intelligenz des Herzens sind nicht gefragt und der Zugang zu ihnen wird nicht gepflegt. Unser Gehirn ist ein soziales Organ: Es hat, wenn wir auf die Welt kommen, unendlich viele Möglichkeiten, wie es sich entwickeln, prägen und bahnen kann. Unser Lernen wird
maßgeblich von den Personen beeinflusst, zu denen wir eine enge Bindung haben. Diese Bindungspersonen sind in der Regel Mutter und Vater. Die Erfahrungen mit ihnen bestimmen, wie wir die Welt sehen, wie wir mit uns selbst und anderen umgehen, was wir glauben, wie wir Probleme lösen, was wir richtig und wichtig finden. Dementsprechend wird unser Gehirn geprägt. Bindung verleiht uns Stabilität und Sicherheit, gibt Orientierung und definiert unsere Zugehörigkeit. Auf dem Boden der vorhandenen Bindungen aufbauend, entwickeln wir Verhaltensweisen und Reaktionsmuster, um die Verbindung zu unseren wichtigsten Bezugs-und Liebespersonen zu erhalten.

Wie arbeitet die Bindungsenergetik?

In der Bindungsenergetik sind fünf Arbeitsschwerpunkte von Bedeutung:
1. Die Bindung
Der Mensch ist ein Sozialwesen, er ist, um wachsen zu können, auf Bindung zu anderen Menschen existenziell angewiesen. Er kann nicht darauf verzichten, sonst stirbt er. Das erklärt, warum Kinder sich ihren leider auch noch so neurotischen Bezugspersonen anpassen, bleiben und letztlich sogar zu vehementen Vertretern der vertrauten Strategien werden. Egal ob erfolgreich oder erfolglos, Strategien schränken die Flexibilität und Lebendigkeit unseres Gehirns ein. Sie gleichen Mustern, die immer wiederkehrend auf die gleiche Weise das Gehirn benutzen, sich immer fester verankern und unser Denken und Handeln vorgeben.
In der Therapie ist eine reale, positive Verbindung zwischen Klient und Therapeut Grundvoraussetzung, um einen Prozess der Veränderung durchlaufen zu können. Es geht also darum, dem Klienten durch den Aufbau sicherer Bindung zu ermöglichen, neue Wege zu gehen, Alternativen zu erkennen und ein Bewusstsein für alte Muster zu entwickeln, um diese verlassen zu können.
Bindungsenergetik ist eine zeitgemäße, herzgeleitete und körperorientierte Psychotherapie. Durch den Aufbau
stabiler Bindungen kommen neue, stärkende Denk- und Handlungsweisen ins Bewusstsein und werden etabliert.
So gelingt es alte, unbewusste Strategien zu erkennen und darüber hinaus zu wachsen.
So stärkt Bindungsenergetik das Vermögen, neue Bindungen eingehen und alte lösen zu können.
2. Das Herz ist das Zentrum der Therapie
Das Herz bzw. von Herzen kommende Anliegen, Wünsche und Entscheidungen stehen oft im Gegensatz zu den Vorstellungen, die wir im Kopf haben. Um herzstärkend arbeiten zu können, bedarf es der Kenntnis der wesentlichen Herzfunktionen sowie der daran gebundenen Herzinformationen. Diesem Herz-Aufbauprozess folgend nimmt die Therapie gleichermaßen Einfluss auf Herz und Gehirn.
Wir müssen in jeder Stunde erkennen, was das Herz heute aufbauen möchte. Worum geht es heute, was ist das „Herz der Stunde“, was ist „Sache“? Um diese Sache kümmern wir uns, der Therapeut dem Aufbauprozess folgend, der Klient im besten Fall auch. Stellen sich dem Aufbauprozess alte Erfahrungen des Klienten entgegen, ist es lediglich notwendig, diese in ihrer konkreten Form zu erkennen und eine treffende Formulierung zu finden.Wir steigen also nicht auf die alten Muster ein. Kontraktionen beschäftigen uns nur in dem Maße, wie sie den Bindungsaufbau blockieren. Der Therapeut bleibt immer mit dem, was sich neu aufbauen möchte, verbunden und stärkt diesen Kanal.
Herzverständnis ist eher von Weisheit als von Vernunft geleitet. Die innere Welt des anderen baut sich in uns auf, wir können uns in seine Lage versetzen. Dies bildet eine therapeutische Grundlage.
3. Das Gehirn
Die Wirkung des Herzpulses auf das Gehirn und seine Funktionen führen zum dritten bindungsenergetischen Schwerpunkt: Die Einbeziehung und Erweiterung der Gehirnfunktionen im Rahmen der Psychotherapie.
Die moderne Gehirnforschung zeigt, dass unser Gehirn in der Lage ist, lebenslang seine Form zu verändern. Unsere Erfahrungen wiederum bestimmen, wie wir unser Gehirn benutzen. Es ist demnach also von großer Bedeutung, dem Klienten neue Erfahrungen zu ermöglichen, um überhaupt eine Umstrukturierung im Sinne einer Neuformierung des Gehirns zu erreichen. Die Grundvoraussetzung dafür ist zunächst zu erfassen, wie der Klient sein Gehirn benutzt. Kommt der Klient beispielsweise aus einer Welt, in der die vorrangige Erfahrung war „das Leben ist hart und schwer“, ist sein Denken und Handeln darauf ausgerichtet. Der Blick erfasst zuerst die Härte und Schwere des Lebens, selbst Genuss muss hart erarbeitet werden und Spaßhaben führt zu Anstrengung und Erschöpfung. Diese und jede entsprechende andere Form der eingefahrenen Nutzung des Gehirns engt ein und entspricht nicht der Flexibilität des Lebendigen.
Bindungsenergetische Psychotherapie hat Möglichkeiten gefunden zu erfassen, in welcher Form der Klient sein Gehirn benutzt und dieses auch dem Klienten bewusst zu machen. Im Prozessverlauf lernt der Klient durch spezielle Gesprächstechniken einzuordnen, ob das, was er gerade im Kopf hat, zu den alten Erfahrungen und Mustern gehört oder ob sich Neues aufbaut. So entwickeln und etablieren sich Alternativen, die krankmachenden und krankheitserhaltenden Erregungsmuster im Gehirn werden geschlossen. Dafür ist neben der Kenntnis der wesentlichen Gehirnfunktionen die Anwendung bindungsenergetischer Gesprächsführung notwendig.
4. Energie und Information
Bindungsenergetik lehrt den Zusammenhang von Energie und Information und insbesondere Techniken, die den  Aufbau stärkender Formen und die darin enthaltenen Informationen unterstützen. Betrachtet wird dabei, was in der momentanen Verbindung, im „Hier und Jetzt“ entsteht. Nimmt „Sich-Wohlfühlen“, ein Gefühl der Verbundenheit und das Verständnis zu, dann ist spürbar Energie im Raum. In diesem Zustand sprudeln Informationen zu dem, worum es gerade geht. Wirken Muster oder sind alte Erfahrungen an der Oberfläche, dann wird es mühsam und anstrengend. Das Energieniveau sinkt, oder ein „Um-sich-selbst-kreisen“ setzt ein, der Erwartungsdruck steigt und gleichzeitig wird die Bindung, auch die therapeutische, geschwächt.
Im Heilungsprozess entwickeln sich Energie und Information einheitlich. Die vermittelte Information kommt auch durch eine authentische, dazu passende Energie zur Wirkung. Der Klient lernt selbst, diese energetische Wirkung mit einzubeziehen, um stärkende von schwächenden Prozessen zu unterscheiden. Hier spielt die Pulsationsfunktion des Herzens eine entscheidende Rolle: Die Förderung des Herzpulses bringt heilende Energie und Information in den Selbstregulationsprozess des Klienten.
Die Fähigkeit, den aufbauenden Herzprozess an der Wirkung zu erkennen und entsprechend zu unterstützen, wird in der Bindungsenergetik vermittelt.
5. Körper und Psyche
Bindungsenergetik berücksichtigt das Wissen um funktionale Einheit von Körper und Psyche. Oberflächlicher Körperkontakt, zum Beispiel Auflegen der Hand auf den Herzbereich, dient einerseits dazu, eine möglichst gute  Verbindung zum aktuellen Geschehen und zum derzeitigen Aufbauprozess zu bekommen. In dieser Form nutzt die Bindungsenergetik den Körper als Informationsträger. Andererseits gehen körperliche Erfahrungen konform mit innerpsychischem Erleben. So erlebt der Klient sich zupackend oder hilflos, voller Energie oder erschöpft. In diesem Sinne können auch über Körperkontakt neue Erfahrungen vermittelt werden. Hier hat der Therapeut eine zusätzliche Möglichkeit, den Aufbauprozess zu fördern.

Der Aufbauprozess

Der Klient kann aufgrund der positiven Anbindung und des gestärkten psychischen Herzens andere Entschlüsse fassen. Er hat mehr Mut, auf sich zu hören. Er ist in der Lage, die aufbauenden Kräfte zu nähren und zu pflegen, und hat ein Bewusstsein für schwächende Bindungen entwickelt. Sein Herz schafft die Fähigkeit, sich dauerhaft anzunähern und ist unerschütterlicher im Dasein. Er kann das Gefühl der Verbundenheit herstellen und immer wieder daran anknüpfen. Der Mut zur Auseinandersetzung kommt an die Oberfläche. Klarheit, Ehrlichkeit und Wertschätzung prägen das Miteinander.
Der Klient betrachtet sich nicht mehr länger als Opfer seiner Prägungen und Erfahrungen, sondern ist in der Lage, an seine eigenen Ressourcen, Fähigkeiten und Stärken anzuknüpfen.

Diagnose und Therapieziel

Zu Beginn der bindungsenergetischen Therapie wird aus den Leidenssymptomen des Klienten eine genaue Diagnose erstellt. Verschiedene krankmachende Zustände, unter denen der Klient leidet, hängen in der Regel mit einem Bindungsprozess zusammen. Die Gesundung dieser pathologischen Bindungsdimension steht im Mittelpunkt.
Durch die Verbindung zum Aufbauprozess des Herzens ergibt sich ein konkretes und individuelles Therapieziel. Das Erreichen dieses Ziels behält der Therapeut im Rahmen des Aufbauprozesses stets im Blick. So hat die Behandlung einen klaren Anfang und ein klares Ende.
Was kann man mit Bindungsenergetik behandeln?
Störungen in der Beziehung mit sich selbst oder anderen
– Ängste
– Depressionen
– Zwänge
– Beziehungsstörungen
– Minderwertigkeitsgefühle
Traumatische Erfahrungen, die das Gehirn überfordern, z.B.
– schmerzliche Trennungserfahrungen

Psychische und somatische Erkrankungen wie

– Multiple Sklerose
– Migräne
– Bluthochdruck
– Hauterkrankungen

Bindungsenergetik ist sowohl für Kurzzeittherapie als auch für Langzeittherapie geeignet!

Ein Fallbeispiel für eine Kurzzeittherapie Bindungssituation:

Annette, 35 Jahre alt, in fester Partnerschaft lebend, Tochter Hannah, drei Jahre, Tochter Laura, verstorben im Alter von vier Wochen, das liegt etwa ein Jahr zurück, jetzt erneut schwanger im fünften Monat.
Zur Vorgeschichte: Annette war mit ihrer Tochter Laura spazieren, als diese plötzlich Atemnot bekam und blau anlief. Der zu Hilfe gerufene Notarzt hat Laura beatmet und in die Kinderklinik, Intensivstation, aufgenommen.
Dort ist sie zwei Tage später verstorben. Die Ursache ist trotz Obduktion unbekannt. Jetzige Situation: Annette ist erneut schwanger und traut sich nicht, eine Bindung zu ihrem ungeborenen Kind aufzunehmen, aus Angst, auch dieses Kind zu verlieren. Das Geschehen um Lauras Tod ist noch stark präsent, sie hat die Notfallsituation häufig vor Augen.

Annette beschreibt folgende Leidenssymptome:

– mangelndes Vertrauen
– ohnmächtig, hilflos
– Verlustängste
– Ziellosigkeit, nicht wissen, wo sie hingehört
– schwebend, bodenlos und unsicher

Diagnose und Therapieziel

Annette befindet sich im Schock, sie ist traumatisiert und nicht realitätsverbunden.
Die pathologische Bindungsdimension betrifft die Realitätsbindung und die der Zugehörigkeit.
Das Therapieziel lautet: „Wenn sie auf sicherem Boden steht“.
Der Aufbauprozess
Im Aufbauprozess geht es zunächst darum, ihr sichere Bindung anzubieten und Vertrauen aufzubauen. „Sich sicher fühlen“ gebe ich bindungsstiftend ein und dies entspricht Annettes Wunsch, „sicheren Boden unter die Füße zu bekommen“. So erzählt sie mir von ihrem Erleben mit Laura. Einerseits die traumatische Situation und andererseits, wie sie ihre Tochter in den vier Wochen ihres Lebens erlebt hat. Im Herzen bildet sich „Stolz“ ab. Annette kann damit ihre verstorbene Tochter verbinden. Annette ist stolz auf Laura, auf ihr waches Wesen, die Fähigkeit, andere Menschen zu faszinieren, und auch auf sich selbst als Mutter von Laura. Sie spürt, dass Laura einen sicheren Platz in ihrem Herzen hat.

Lesen Sie den ganzen Artikel im einklang-März Ausgabe 2012.

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